30.11.2016
Konsum zu Weihnachten
Das Kostbarste, was wir haben
Auch in diesem Jahr werben Unternehmen mit idyllischen Filmen zu Weihnachten. Dabei stellt etwa die Supermarktkette Edeka nicht den Kartoffelsalat in den Mittelpunkt: Zum Advent gibt es Werte.
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Idylle an Heiligabend: Die Familie nimmt sich Zeit für ein Festessen. Ob sie später noch in die Kirche gehen? Foto: istock |
Die Plätzchen müssen noch gebacken, die Wohnung geputzt und die Geschenke besorgt werden: Der aktuelle Edeka-Werbespot [1] zeigt Erwachsene und ihre hektische Vorbereitung aufs Fest. Doch wer bleibt bei dem Stress auf der Strecke? Die Kinder. Sie stehen traurig daneben, fühlen sich nicht ernst genommen und vernachlässigt.
Ähnlich funktioniert der animierte Werbefilm [2] des Onlinehändlers OTTO: eine dreiköpfige Familie, die aneinander vorbeilebt. Jede Person steht auf einem sich schneller drehenden Uhrzeiger, hetzt von einem Termin zum nächsten. Erst spät merken sie, was ihnen fehlt: Als die Zeiger sich kurz treffen, springen sie zusammen. Die Zeit steht still. Was diese Filme gemeinsam haben, ist das Motto: Verschenke das Kostbarste, was du hast – deine Zeit.
Die Unternehmen schaffen damit etwas, womit die Kirchen sich schwertun. Zeit mit der Familie zu verbringen, sich für Bedürftige einzusetzen, zu teilen und zusammenzuhalten: Das sind Werte, für die sich die Kirchen – nicht nur im Advent – einsetzen. Und doch haben sie es nicht geschafft, sie so herzerwärmend zu verbreiten.
Hinter der Werbung steckt natürlich auch ohne Produktplatzierung eine clevere Marketingstrategie: Die Filme, die teilweise nur in den sozialen Netzwerken zu sehen sind, erreichen eine hohe Verbreitung und polieren das Image auf. Und während sie den Zuschauer beim schlechten Gewissen packen, fahren die Unternehmen eine zweigleisige Strategie.
Freie Zeit beim Einkaufen in der Stadt verbringen
Denn ganz im Gegensatz zum Motto der lieblichen Werbefilme arbeitet der Einzelhandel verstärkt auf eine großzügigere Regelung für Sonntagsöffnungszeiten hin. Der Karstadt-Chef Stephan Fanderl etwa fordert zwölf verkaufsoffene Sonntage im Jahr, ohne eine Bindung an andere Events in der Stadt. Von Galeria-Kaufhof heißt es, die aktuelle Praxis sei rückständig. Schließlich sei auch in katholischen Ländern wie Italien und Polen das Einkaufsvergnügen am Sonntag kein Problem, und der Vorsitzende der Media-Saturn-Holding bemängelt, dass die Innenstädte ausgerechnet dann geschlossen sind, wenn die Menschen Zeit zum Einkaufen hätten: am Sonntag.
Wo bleiben da die Werte? Oder gilt die Familienzeit nur für den Advent? Die „Allianz für den freien Sonntag“, ein Bündnis von Gewerkschaften und kirchlichen Verbänden, scheint den längeren Atem zu haben. Vor wenigen Wochen etwa wurden in Münster bundesweit erstmalig die Bürger befragt – und sprachen sich gegen eine Öffnung im Advent aus. Viele Kommunen zogen von sich aus verkaufsoffene Sonntage zurück. Zumindest für die nächsten Wochen können sich Familien also das vornehmen, was die Werbung vorschlägt: sich die Zeit nehmen und verschenken.
Von Kerstin Ostendorf