25.01.2022

Initiative #OutInChurch

Mutiger Schritt in die Öffentlichkeit

Auch kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bistum Osnabrück zeigen Gesicht und outen sich als nichtheterosexuell. Sie setzen sich dafür ein, dass Liebe und Glaube nicht länger im Widerspruch stehen müssen.

Mutige Bekenntnisse bei #OutInChurch kommen auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Bistum Osnabrück. Unser Bild zeigt die in Regenbogenfarben angestrahlte Kirche St. Marien in Lingen-Biene. Foto: Kirchenbote/Archiv

Am Tag des öffentlichen Outings steht ihr Telefon nicht mehr still. Bei Ann-Cathrin Röttger häufen sich die Interviewanfragen. Aber das große Interesse ist ihr nicht unangenehm. Sie hat damit gerechnet und sagt: „Schließlich wollen wir ja sichtbar sein.“ Röttger beteiligt sich am wohl größten Coming-out, das es in der katholischen Kirche bisher gegeben hat. Zu Wochenbeginn startete die Initiative „#OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst“, mit der Gläubige aus ganz Deutschland den Schritt in die Öffentlichkeit wagten und sich als nichtheterosexuell outeten: Haupt- und Ehrenamtliche, darunter Ordensleute und Priester, Religionslehrer und Sozialpädagoginnen, Bildungsreferenten und Theologiestudentinnen. 

Sie fordern ein Ende der Diskriminierung innerhalb der Kirche. Es sind die strukturell bedingten Ungerechtigkeiten, die #OutInChurch anprangert. „Wir brauchen dringend eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie es sein kann, dass im Jahr 2022 eine Institution mit ihrem eigenen Arbeitsrecht fundamentale Menschenrechte verletzt“, sagt Initiator Jens Ehebrecht-Zumsande, Referatsleiter aus dem Erzbistum Hamburg. Das kirchliche Arbeitsrecht müsse geändert werden, damit niemand mehr aufgrund seiner sexuellen Identität seinen Job, seine Karriere und sein Auskommen verlieren könne.

Realität muss nur Normalität werden

Ann-Cathrin Röttger leitet die Arbeitsstelle Freiwilligendienste im Bistum Osnabrück. Dass sie Frauen liebt und mit ihrer Partnerin seit vielen Jahren zusammenlebt, musste die 43-Jährige verheimlichen – aus Angst vor einer Kündigung. Aber Liebe und Glaube sollen nicht länger im Widerspruch stehen, deshalb macht sie bei #OutInChurch mit. „Es gibt viele homosexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kirche. All diese Leute tragen die Kirche mit. Für mich ist das Realität – und es ist mir wichtig, dass sie anerkannt und zur Normalität wird“, sagt sie. 

Ann-Cathrin Röttger hat Religionspädagogik und soziale Arbeit studiert und weiß seit dieser Zeit, dass sie lesbisch ist. Aber sie verdrängte es und dachte auch später im Bistumsdienst, dass sich das Problem schon lösen werde. Doch der innere Zwiespalt blieb, das Gefühl, selbst schuld zu sein am selbstgewählten Leid. „Es war ein harter und steiniger Weg für mich, anzuerkennen, dass ich homosexuell bin und trotzdem für die Kirche arbeiten will. Bei all dem, was in der Kirche schlecht läuft, sehe ich Dinge, die gut sind, für die ich einstehen möchte.“ 

Ann-Cathrin Röttger. Foto: Matthias
Petersen

Ann-Cathrin Röttger kommt auch in der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ zu Wort und berichtet wie viele andere von jahrelangem Versteckspiel und der Angst vor dem Outing. Kurz vor den Dreharbeiten, sagt sie, habe sie noch einmal gründlich nachgedacht, ob sie diesen Schritt wagen soll. Sie vertraute sich ihrer Vorgesetzten an, Seelsorgeamtsleiterin Martina Kreidler-Kos. Und die bestärkte sie in ihrem Vorhaben. Vor der Ausstrahlung des Films sprach Röttger auch mit Bischof Franz-Josef Bode, der ihr signalisierte, dass er ihre Arbeit sehr schätze und sie sich keine Sorgen um ihren Job machen müsse.

#OutInChurch bewertet Bode als mutigen Schritt. Queere Katholiken outen sich mit der Botschaft: „Wir sind da und wir sind Teil dieser Kirche.“ Dieser hohe persönliche Einsatz sei sehr zu würdigen, sagt Bode. Die Loyalität kirchlicher Mitarbeiter sei arbeitsrechtlich eng an die Lebensform gebunden. Es sei dringend notwendig, für alle Seiten verlässliche Lösungen zu finden und eine Verbesserung der derzeit mehr als unbefriedigenden Situation aktiv voranzutreiben. 

Zu den Unterzeichnern der Initiative zählt auch Sven Diephaus. Der 40-jährige arbeitet als Jugendreferent in der Pfarreiengemeinschaft Haselünne. Im vergangenen Jahr hatte er dem „Kirchenboten“ erzählt, wie sein Weg als schwuler Mann in der katholischen Kirche bis heute war und ist. Es gab fast durchweg positive Reaktionen. Und genau das erlebt Diephaus jetzt mit seinem erneuten Schritt in die Öffentlichkeit wieder. „Ich will damit Gesicht zeigen und anderen, die noch unsicher sind, eines klarmachen: Es gibt noch viele andere mit den gleichen Fragen, Problemen und Ängsten – auch bei uns im Bistum. Wir gehen jetzt voran und wir sind bei euch.“ 

Sven Diephaus. Foto: Petra Diek-
Münchow

Zugleich verbindet er mit der Aktion eine Hoffnung: dass queere Menschen ganz offen in unseren Gemeinden leben und arbeiten können, dass das kirchliche Arbeitsrecht zeitgemäß geändert wird und dass Segnungsfeiern für alle möglich werden.“ 

Der ehemalige Priester und Buchautor Pierre Stutz (68), der seit 2018 mit seinem Mann in Osnabrück lebt, macht ebenfalls mit. Er hofft, dass die katholische Kirche durch den Druck solcher Initiativen wie #outInCurch zu durchgreifenden Reformen kommt. Die katholische Kirche müsse in der Frage der gleichgeschlechtlichen Liebe „mit der Unterdrückung, mit der Angst, mit diesen homophoben, diskriminierenden Verlautbarungen endlich Schluss machen“, sagte Stutz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er beklagt, dass immer wieder Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeitsstelle innerhalb der Kirche verlören. Zugleich verweist er auf die erfolgreiche Kampagne der Segnungsfeiern für homosexuelle Paare im vergangenen Jahr: „Das zeigt: Es braucht den Druck der Öffentlichkeitsarbeit.“

Mehr Druck für arbeitsrechtliche Sicherheit

Franziskanerbruder Thomas Abrell, Bildungsreferent in Haus Ohrbeck, leitet den 2013 von Bischof Bode ins Leben gerufenen Arbeitskreis „kreuz und queer“. Diese Gruppe versteht sich als Anlaufstelle für queere Menschen und will ihnen helfen, ihren Platz in der Kirche zu finden. Von dieser Perspektive aus stuft Abrell #OutInChurch als sehr wichtig ein. „Sie nimmt allen den Wind aus den Segeln, die immer noch glauben machen wollen, Homosexualität in der Kirche sei ein Randthema einer sehr kleinen Gruppe.“ Zudem sorgt der Aufruf seiner Ansicht nach für mehr öffentlichen Druck, damit „endlich arbeitsrechtlich die Sicherheit hergestellt wird, die wir noch nicht haben.“ 

Aus persönlichen Begegnungen berichtet Abrell, dass es Bischof Franz-Josef Bode immer ein Anliegen sei, dass „Menschen in unserem Bistum ohne Angst arbeiten können.“ Aus anderen Gesprächen weiß er aber zugleich, welche bedrängende Fragen queere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umtreibt:  ob sie wirklich offen in dieser Kirche arbeiten können, ob das Wissen um ihre sexuelle Orientierung gegen sie benutzt werden kann – ob sie Gottes Liebe gewiss sein können. „Das ist immer eine tiefe Not und macht sie fertig.“

Anja Sabel/Petra Diek-Münchow


Zur Sache

Unter dem Stichwort #OutInChurch haben sich bundesweit 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche als queer geoutet. So bezeichnen sich nichtheterosexuelle Menschen und Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren (LGBTIQ+). LGBTIQ steht für „Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex, Queer“, das Plus als Platzhalter für weitere Geschlechteridentitäten. 

Aus dem Bistum Osnabrück machen etwa 20 Personen bei der Aktion mit: Mitglieder verschiedener Berufsgruppen in Gemeinden und katholischen Einrichtungen wie ein Krankenpfleger, ein Jugendreferent, eine Chorleiterin und auch Priester. Sie fordern unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht zu ändern, damit sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität nicht mehr zu einer Kündigung führen können.