29.09.2017
Studenten lernen die Urlauberseelsorge kennen
Eine gute Zeit auf Baltrum
Seelsorge für Urlauber – wie geht das? Studenten aus Münster und Osnabrück haben in diesen Wochen Antworten auf diese Frage gesucht. Aber nicht in Hörsälen und Fachbüchern, sondern bei einem Praktikum auf Baltrum. Sie waren die „Inselteams“ für die katholische Kirche.
Bunte Luftballons vor der St.-Nikolaus-Kirche: Anne Görgemanns (v.l.), Pia Focke, Lukas Klein-Wiele und Felix Elbers machen damit auf ihre Aktionen aufmerksam.
Heute ist bestes Wetter auf Baltrum. Knallblau strahlt der Himmel und eine milde Brise streicht über die Nordsee. Viele Urlauber nutzen den schönen Spätsommertag für einen Spaziergang. Atmen tief ein, stellen sich mit nackten Füßen in die sanfte Dünung, bauen mit den Kindern noch einmal eine Sandburg.
„Was haben wir für ein Glück!“, sagt Pia Focke und genießt für ein paar Momente die warme Sonne. Dann ruft die Arbeit am Kirchen-Strandkorb. Mit Anne Görgemanns packt sie eine Kaffeekanne und Tassen aus, öffnet eine Kekspackung und stellt Stühle hin. Neben ihr hissen Lukas Klein-Wiele und Felix Elbers die Fahne der „Seelsorge am Meer“. Einige Feriengäste schauen neugierig zu, anderen kennen die vier jungen Leute schon und rufen ein nettes „Hallo“ hinüber. Wie ein Ehepaar aus Osnabrück und ihre Freunde aus Offenbach. Sie lassen sich gern einen Kaffee einschenken, erzählen von der bevorstehenden Silberhochzeit auf der Insel, plaudern entspannt über Gott und die Welt. „Schön, dass ihr das hier macht“, sagt der Osnabrücker .
Was die vier heute am Strand machen, ist Seelsorge in der Praxis. Sie bilden eins der drei „Inselteams“, die sich in den vergangenen Wochen auf Baltrum ehrenamtlich für Insulaner und Touristen engagiert haben. Elf Männer und Frauen hatten sich für dieses Praktikum beworben. Sonst studieren sie in Osnabrück, Münster oder Bamberg Theologie, soziale Arbeit oder Religionswissenschaft. Abseits der Hörsäle und Uni-Bibliotheken wollten sie in diesen Semesterferien handfeste Erfahrungen in der Urlauberseelsorge sammeln.
„Unsere Erwartungen sind übertroffen worden.“
Carolin Hanke, seit drei Jahren Urlauberseelsorgerin im Bistum Osnabrück, hat dieses Studenten-Projekt „InselZeit“ mit ihrer Kollegin Natalia Löster erdacht und organisiert. Aus ihrer Arbeit weiß sie, dass „unsere wunderbaren Kirchen“ an der Küste und auf den Inseln viele Gäste anziehen. Aber das Gebäude allein reicht nicht, wichtiger noch ist ihrer Ansicht nach eine persönliche Präsenz vor Ort. Von Männern und Frauen, die einfach da sind: beim Gottesdienst, beim Kirchencafé, beim Strandspaziergang, beim Basteln für Kindern und dem Abendgebet für Erwachsene. Außerdem versteht Carolin Hanke das Vorhaben als Nachwuchsförderung. Sie möchte junge Leute für pastorale Arbeit begeistern – nicht nur, aber eben auch in der Urlauberseelsorge. Hat diese Idee bisher funktioniert? „Absolut! Unsere Erwartungen sind noch übertroffen worden.“ Sie hofft auf einen neuen Durchlauf im nächsten Jahr, vielleicht auf einer anderen Insel.
Das „Inselteam“ im Kirchen-Strandkorb freut sich über das Lob. Denn für die jungen Leute, zwischen 22 und 24 Jahren alt, sind die Tage auf Baltrum eine ganz neue Erfahrung. Sie kennen aus ihren Gemeinden in Mönchengladbach, Bad Bentheim, Kirchhellen und dem Niederrhein die Arbeit mit Messdienern und Firmlingen, im Pfarrgemeindrat und im Jugendverband – aber eben nicht die Seelsorge für und mit Urlaubern. „Dieses Angebot war einfach total attraktiv“, sagt Felix Elbers. Knapp zwei Wochen zusammen leben und arbeiten auf einer Nordseeinsel, eigenständig ein Programm entwickeln und in die Praxis umsetzen, nah am Menschen zu sein: Das hat alle gereizt, darauf waren alle gespannt. „Das ist eine tolle Chance, mit so viel Freiheit etwas ausprobieren zu können“, sagt Pia Focke. Und Carolin Hanke steht ihnen dabei zur Seite.
Während der „InselZeit“ geht es nicht nur darum, dem Kurpastor bei der Messe zu helfen, den Rasen im Innenhof der Kirche zu mähen oder Kerzen in der Marienkapelle nachzulegen. „Wobei das echt viele sind – 70 bis 80 am Tag“, sagt Anne Görgemanns und staunt darüber, wie viel Leute von morgens acht bis abends zehn in die St.-Nikolaus-Kirche kommen. Mehr noch möchten die Studenten einfach für die Urlauber da sein. Wie im Kirchen-Strandkorb. Fast jeden Tag vormittags und nachmittags sitzen sie hier. Nicht mit dicken Stapeln von klugen Flyern in der Hand, sondern mit einem freundlichen Lächeln in den Gesichtern und mit viel Zeit für Gespräche – für jeden, der reden will. Manchmal sind die vier überrascht, wie schnell sich eine intensive Unterhaltung entspinnt und wieviel Zutrauen die Menschen „in die von der Kirche haben“. Gar nicht so selten erleben sie, wie verblüfft viele Touristen reagieren – weil ausgerechnet vier so junge Menschen diesen Job übernehmen. „Hier passiert was, das nehmen die Leute schon wahr“, sagt Felix Elbers.
Neben dem Strandkorb hat das Team noch andere Angebote ausprobiert. Den meditativen Abendimpuls am Strand: mit Kerzenlicht, Texten aus der Schöpfungsgeschichte und leiser Gitarrenmusik. Die „Tüte Urlaub“: ein Bastelnachmittag für Kinder, bei dem auch Erwachsene gern mitgemacht haben. Und einen Hundespaziergang, eine Orgelführung, eine Abstimmung mit Kreide auf der Straße.
„Die Leute picken sich ‘raus, was sie brauchen.“
Schnell haben sie dabei gelernt, dass ein simples Plakat oder die schnelle Abkündigung von der Kanzel nicht reicht. Da muss die Werbung auffälliger, anders, sogar irritierend sein – mit knallroten Postkarten und schrägen Texten, mit platzenden Luftballons und Suppentöpfen auf dem Kirchvorplatz. „Vorgestern haben wir Kochlöffel in der Kirche aufgehängt, um auf einen Kochabend aufmerksam zu machen “, erzählt Lukas Klein-Wiele. Dass dieses „Kochkarussell“ sich mangels Teilnehmer nicht gedreht hat, finden alle schade – sehen darin aber eine wichtige Erfahrung. Denn die Feriengäste sollten sich anmelden und das funktioniert offenbar nicht. Urlauber schreiben sich keine Termine in den Kalender. Sie wollen spontan nach Lust, Laune und Wetter entscheiden. „Die Leute picken sich ‘raus, was sie brauchen“, sagt Felix Elbers.
Bei dem Abend, über den die Studenten jetzt im Strandkorb noch sprechen, können die Urlauber das. Eine „Nacht der offenen Kirche“ soll es werden, von abends acht bis morgens acht –auch wenn das „Inselteam“ zu bestimmten Uhrzeiten vielleicht mit sich alleine sein wird. „Dann machen wir manches eben nur für uns“, sagt Anne Görgemanns schulterzuckend. Alle lachen und man spürt, wie die vier zusammengewachsen sind. Sie haben eine gute Zeit auf Baltrum – und vielleicht wird der eine oder andere Urlauber sie eines Tages wieder sehen. Als Seelsorger.
Petra Diek-Münchow